«Ich will eine Gesellschaft mit Zukunft »

31.08.2020

Mit 32 Jahren ist Johanna Gapany (FDP/FR) die jüngste Ständerätin in der Geschichte der Schweiz. Die READY!-Botschafterin will, dass Familien stärker unterstützt werden. Hierfür müsse bereits in der frühen Kindheit mit entsprechenden Strukturen angesetzt werden. Sie plädiert für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und ein familienfreundlicheres Steuersystem.

Johanna Gapany, Ständerätin FDP/FR
Johanna Gapany, Ständerätin FDP/FR

Sie haben bestimmt viele Anfragen für Mandate erhalten. Warum engagieren Sie sich gerade als READY!-Botschafterin?
Ich bin seit 15 Jahren politisch aktiv und die Diskussionen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie habe ich schon immer intensiv wahrgenommen. Es gibt gute Ansätze in den Kantonen und Gemeinden. Es fehlt aber der effektive Fortschritt und die übergeordnete Koordination der Aktivitäten. Wenn wir es ernst meinen mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, dann müssen wir bereits in der frühen Kindheit ansetzen. Der Staat beginnt erst bei Erreichen der Schulpflicht, sich um unsere Kinder zu kümmern. Wir müssen aber Familien schon vorher unterstützen, ohne den Eltern die Selbstverantwortung wegzunehmen. Es gibt unterschiedliche politische Ideen und Wurzeln. READY! kombiniert sie. Wenn es uns gelingt, alle auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören, haben wir den ersten Schritt geschafft, der es dann ermöglicht, eine echte Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erreichen.

Was bedeutet für Sie die frühkindliche Förderung?
In Bezug auf soziale und kognitive Entwicklung ist die frühe Kindheit eine entscheidende Phase im Leben eines Menschen. Die Familie ist dabei zentral. Das bedeutet aber nicht, dass der Staat in dieser Phase nicht auch eine Rolle spielen sollte. Heute stellt er teilweise Krippenplätze zur Verfügung. Es sind aber die Eltern, die einen Platz finden müssen, diesen zu finanzieren haben, sich an die zeitliche Struktur der Krippe anzupassen haben. Gleichzeitig fordert die Arbeitswelt immer mehr Flexibilität. Und die berufliche Entwicklung der Eltern überschneidet sich mit der Phase, in denen sie ihre Kinder grossziehen. Eine intensive Zeit. Wenn wir das Potenzial der nächsten Generationen und unserer Arbeitskräfte optimal nutzen wollen, dann müssen wir bereits in den ersten Jahren bezahlbare und praktische Lösungen für die Kinderbetreuung anbieten. Ein Kind ist keine Quelle von Wohlstand für die Eltern. Es ist eine Investition, und es ist auch eine Investition in die Gesellschaft.
Darum darf es nicht sein, dass Kinder haben ein Nachteil für Arbeitnehmer ist. Eine nachhaltige Gesellschaft ist eine Gesellschaft, die Lösungen für die Kinderbetreuung bietet und sowohl Mütter als auch Väter ermutigt, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren, um zum Erfolg unseres Landes beizutragen.

Welche Erkenntnisse haben Sie als Kommunal- und Kantonspolitikerin gesammelt?
Wir sollten das Thema ganzheitlich betrachten und über Familienförderung, Sprachförderung, Bildungsangebote etc. bis hin zur Gestaltung des öffentlichen Raums sprechen. Als Gemeinderätin war ich dafür zuständig. Für mich war klar, dass bei der Gestaltung von öffentlichen Plätzen und Spielplätzen darauf geachtet werden muss, dass es verschiedene altersgerechte Angebote für Jugendliche und Kinder geben muss. Insbesondere auch für die Jüngsten. Entscheidend ist aber ein integriertes Betreuungssystem in der frühen Kindheit. Sobald junge Eltern ein Kind bekommen, sollte ihnen eine Lösung garantiert werden. Heute müssen sich in der Schweiz Eltern leider immer noch zu oft entscheiden, ob sie Kinder bekommen oder eine berufliche Laufbahn einschlagen wollen. Das ist doch rückständig und nicht mehr zeitgerecht.

Was gelingt in der Schweiz bezüglich der frühen Kindheit gut?
Ich denke sowohl in der Romandie wie auch in der Deutschschweiz wird die Wichtigkeit des Themas mittlerweile anerkannt und allen sind die Vorteile einer guten Vereinbarkeit bewusst. Wir sind uns aber noch nicht einig, welche Massnahmen und Mittel notwendig sind. Was gut funktioniert: Wir haben das Glück, in einem Land zu leben, in dem die Infrastruktur gut ist, die Gesundheitsdienste von hoher Qualität sind und die Sicherheit gewährleistet ist.

Welche Massnahmen braucht es von Staat und Wirtschaft, damit die Situation im Frühbereich verbessert wird?
Zwei Massnahmen kommen mir sofort in den Sinn: Erstens, die Gleichbehandlung aller Familien bei der Besteuerung wiederherstellen. Zweitens, eine gerechte Finanzierung für alle Eltern in der Kleinkindbetreuung. Das heutige Steuersystem und die einkommensabhängige Finanzierung von Kinderbetreuungsstätten schaffen falsche Anreize und veranlassen einige Eltern dazu, ihr Arbeitspensum abzubauen oder aus dem Erwerbsleben auszuscheiden, wodurch uns dringend benötigte Arbeitskräfte verloren gehen.

Von welchen politischen Diskussionen erhoffen Sie sich am meisten?
Ende September stimmen wir über den Abzug von Kinderbetreuungskosten und über den Vaterschaftsurlaub ab. Gerade letztere Vorlage wird wichtig. Es braucht das Signal der Bevölkerung an die Politik, dass ihnen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Unterstützung und Förderung von Familien wichtig ist und dies entscheidende Themen für unsere Gesellschaft sind.

In der Herbstsession ist die Pa.Iv. Aebischer traktandiert, welche fordert, dass der Bund die Kantone dabei unterstützt, Massnahmenpakete im Bereich der frühen Kindheit zu entwickeln und umzusetzen. Wie schätzen Sie die Chancen des Vorstosses im Ständerat ein?
Wir haben die Initiative in der WBK-S unterstützt. Aber das Ergebnis im Ständerat ist offen. Das Profil der Gewählten kann einen Einfluss auf das Ergebnis haben. Es liegt an uns, den Parlamentarier*innen, die für diese Fragen besonders sensibilisiert sind, Sprecher der Familien zu sein, um eine Mehrheit zu überzeugen. Ich hoffe, dass wir der Initiative zustimmen. Vor allem hoffe ich, dass nicht wieder alle von Vereinbarkeit von Familie und Beruf sprechen und dann solche Vorschläge ablehnen, weil das nicht in der Kompetenz des Bundes liege. Eine bessere Koordination auf Bundesebene gewährleistet aber ein effizienteres Handeln in den Gemeinden und Kantonen.

Was erhoffen Sie sich von einer Nationalen Strategie der frühen Kindheit?
Es wäre sehr wertvoll, wenn es zu einem nationalen Impuls bei diesem Thema käme. READY! vereint Botschafter aus allen grossen Parteien. Es müsste darum möglich sein, Mehrheiten zu schaffen. Die zentralen Fragen der Kompetenzen und Verantwortlichkeiten sowie der Finanzierung könnten so geklärt werden.

Wie sollten die Kompetenzen denn Ihrer Meinung nach geregelt werden?
Ich bin eine Vertreterin des Föderalismus und glaube, dass es in der Bildung gut funktioniert. Schulpolitik wird zwar von den Kantonen umgesetzt, aber der Bund beaufsichtigt das Ganze und gibt Grundzüge vor. Es sollte einen nationalen Plan für die frühe Kindheit geben, um die Synergien zwischen den Kantonen zu verstärken. Ein solches Konzept sollte auch Eltern berücksichtigen, die erwerbstätig sind, und die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes berücksichtigen. Auch muss die Umsetzung der Angebote und Massnahmen Sache der Kantone und Gemeinden bleiben. Die Bedürfnisse in Regionen wie dem Greyerzerland sind nicht die gleichen wie in einer Stadt wie Zürich. Dank besseren Synergien würde aber verhindert werden, dass unnötig Energie und Geld in die Erprobung von Konzepten oder Pilotprojekten investiert wird, bei den in anderen Kantonen bereits Erfahrungen gesammelt wurden.

Wie sollen mögliche Massnahmen finanziert werden?
Das Finanzierungssystem für die frühe Kindheit sollte das gleiche sein, wie das für die Schulbildung, mit einem garantierten Kinderbetreuungssystem für berufstätige Eltern.

Welche Schlagzeile würden Sie sich in Zukunft wünschen?
Die Schweiz – ein modernes Land, das in seine Zukunft investiert.

Autor: Claudio Looser
Das Interview wurde auf Französisch geführt.