Die Dosis macht das Gift

15.08.2017

Kursleiterin Christelle Schläpfer hat das digitale Medienwissen von 17 Bildungsexperten in Zürich auf den neuesten Stand gebracht. Nach der Weiterbildung bei der Geschäftsführerin von elternbildung.ch wussten die Teilnehmer, warum das neue Medienkonsumverhalten von Eltern ein Risiko für Familien und eine Chance für die Elternbildung darstellt. Ready! sass mittendrin.

Aufwand und Ertrag stimmen überein: Kursleiterin Christelle Schläpfer (rechts) und Daniela Holenstein vor der mit Zetteln vollgeklebten Mind-Map.<br>
Aufwand und Ertrag stimmen überein: Kursleiterin Christelle Schläpfer (rechts) und Daniela Holenstein vor der mit Zetteln vollgeklebten Mind-Map.

Christelle Schläpfer hat die Lacher auf ihrer Seite, als sie die Wortschöpfung «Smombie» erklärt. Jemanden, der nur noch auf sein Smartphone starrt und dabei seine Umwelt komplett ausblendet, nennt man so. «Smombie» ist eine Verschmelzung der Begriffe Smartphone und Zombie. «Diese Wortkreation habe ich noch nie gehört», sagt Daniela Holenstein und lacht. Die 45 Jahre alte Zürcherin besucht mit 16 anderen Personen den Weiterbildungskurs für Fachkräfte aus dem Bereich der Elternbildung in Zürich. Das Thema: «Neues Mediennutzungsverhalten der Eltern. Risiken und Chancen». Als Kursleiterin fungiert Christelle Schläpfer, Geschäftsführerin von elternbildung.ch. Der nationale Dach- und Fachverband der Elternbildung in der Schweiz ist Koalitionspartner von Ready!

Internetsucht bekämpfen
88 Mal pro Tag schaue ein Erwachsener im Durchschnitt auf sein Smartphone, sagt Schläpfer in ihrem bemerkenswerten Referat. Oder anders formuliert: Alle 10 bis 12 Minuten wandert der Blick des Nutzers auf den Bildschirm. «Das kann man schon als Sucht bezeichnen», meint Schläpfer. Um anzufügen: «Ich möchte die Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmer digital soweit fit machen, dass sie das Online-Verhalten von Eltern richtig einschätzen können. Eltern müssen sich in diesem Bereich schon selber regulieren, sonst kann sich der exzessive Kontakt der Eltern mit Bildschirm-Medien negativ auf die Entwicklung ihrer Kinder auswirken.» Schläpfer will, dass die Kursteilnehmer die neusten Gadgets in Sachen soziale Medien kennen und bezüglich des Nutzungsverhaltens der Eltern auf dem neuesten Stand sind. Ziel des Kurses soll es sein, dass sich Erwachsenenbildner und Eltern auf Augenhöhe begegnen. In Gruppenarbeiten werden interessante Lösungsideen zum Thema Chancen und Gefahren digitaler Medien entwickelt. So wird unter anderem für einen nationalen strahlenfreien Sonntag plädiert.
Daniela Holenstein, Elternbildnerin und selber Mutter von vier Kindern, sagt: «Ich möchte in diesem Kurs herausfinden, welche Vorbildfunktion Eltern in Bezug auf die digitalen Medien wahrnehmen sollen. Gerade wenn wir daran denken, wie exzessiv Kinder Computerspiele konsumieren.» Holenstein vertritt beim Thema Internetsucht eine dezidierte Meinung: «Es geht nicht darum, den Fokus auf die Beschränkung des Umgangs mit Computerspielen zu legen, sondern Alternativen aufzuzeigen. Ich persönlich frage zum Beispiel mein Kind, ob es sich heute schon genug bewegt habe.»

Apps gegen Handysucht
Martin Spitteler macht sich viele Notizen. Der 59 Jahre alte Sozialpädagoge und Sozialarbeiter möchte das angeeignete Wissen bald in seinen beruflichen Alltag einfliessen lassen. Er ist mit dem Kursthema nicht so vertraut. Spitteler arbeitet als fachlich-operativer Leiter des Vereins sozialpädagogische Familienbegleitung Baselland in Liestal. «Viele Eltern erzählen mir, dass ihr Kind aufgrund von ADHS einen Entwicklungsrückstand oder eine Verhaltensauffälligkeit zeige. In vielen Fällen ist jedoch die Hauptursache für die Auffälligkeiten des Kindes eine andere: Es fehlt die Bindung zwischen den Eltern und dem Kind», sagt Spitteler. Und ergänzt: «Häufig schenken die Eltern ihrem Smartphone mehr Aufmerksamkeit als dem eigenen Kind.» Der SESK-Kursleiter (Starke Eltern – Starke Kinder) findet lobende Worte für Kursleiterin Schläpfer: «Sie hat mir viel Neues ermittelt. Ich weiss jetzt zum Beispiel, dass es Kindersicherungs-Apps gibt, die eine altersangemessene Zeitbegrenzung für das Handy festlegen. Das finde ich eine gute Idee, um Konflikte mit dem Kind zu minimieren.»

Social Media als Chance
In ihrem Referat beleuchtet Christelle Schläpfer auch die Chancen, welche das neue Medienkonsumverhalten bietet. «Für Familien gibt es coole Lernplattformen wie beispielsweise die Webseite scoyo.de. Zudem können wir die digitalen Medien als effektiven Kommunikationskanal für die Elternbildung nutzen. Dank Social Media haben wir die Möglichkeit, die Eltern zu erreichen und diese zu Veranstaltungen einzuladen», sagt die 45 Jahre alte Winterthurerin. Auf welchen Social-Media-Plattformen tummeln sich die Eltern denn? «Auf Facebook, Instagram und WhatsApp», antwortet die Mutter einer 16 Jahre alten Tochter. Facebook sei nicht nur eine Konsumplattform, sondern auch ein Arbeitswerkzeug, meint Schläpfer. «Wir können uns vernetzen und in einer geschlossenen Facebook-Gruppe unter Gleichgesinnten über ein Thema debattieren.» Am Schluss der Veranstaltung zieht Christelle Schläpfer ein Fazit: «Alles hat zwei Seiten. Die Dosis macht das Gift.»


Seit 50 Jahren engagiert dabei

Elternbildung CH engagiert sich seit 1967 dafür, dass Kinder in ihrer Familie ein entwicklungsförderndes Umfeld erleben. Der Dachverband stärkt und fördert die Erziehungskompetenzen der Eltern und bietet Orientierungshilfen rund um das Thema Familie. Als Fachverband setzt Elternbildung CH unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Rahmenbedingungen in den drei Landesteilen Impulse, sensibilisiert die Öffentlichkeit, vernetzt die Anbieter und trägt zur Qualitätsentwicklung der Angebote und Fachpersonen bei. Elternbildung CH ist Koalitionspartner von Ready! Präsidiert wird der nationale Dach- und Fachverband der Elternbildung in der Schweiz vom ehemaligen Nationalrat Andy Tschümperlin.
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Autor: Thomas Wälti