«Zwei Wochen Vaterschaftsurlaub ist das Minimum»

5.03.2020

Der Novartis-Länderchef der Schweiz, Matthias Leuenberger, konnte nach der Geburt seines ersten Kindes drei Monate mit der Familie verbringen. Er blickt auf diese prägende Zeit zurück und erklärt, was für ihn die Förderung von Kindern zwischen 0 und 4 Jahren bedeutet.

Matthias Leuenberger, Novartis-Länderchef Schweiz (Bild: ZVG)
Matthias Leuenberger, Novartis-Länderchef Schweiz (Bild: ZVG)

Was ist Ihre früheste Kindheitserinnerung, und wie alt waren Sie da?
Das war mit fünf Jahren, als wir 1970 nach Japan flogen, wo unsere Familie danach zehn Jahre lebte. Ich weiss noch, wie aufgeregt ich war, als ich als kleines Kind mit einer Swissair-Umhängetasche voll mit Süssigkeiten in das Flugzeug stieg.

Was bedeutet es für Sie, Kinder zwischen 0 und 4 Jahren zu fördern?
Ich habe selber auch drei Kinder. Die frühe Förderung erfolgte unbewusst. Als Eltern setzt man sich intensiv mit den Kindern auseinander. Dadurch profitieren sie natürlich. Mir scheint es wichtiger, dass ein Umfeld vorherrscht, in dem eine natürliche Eltern-Kind-Beziehung gefördert wird und Interaktionen stattfinden können. Dort, wo das nicht möglich ist, soll unterstützend eingegriffen werden.

Wer soll unterstützen?
Beim Ruf nach dem Staat bin ich vorsichtig. Aber ich finde es richtig, dass Unternehmen eine Elternzeit oder einen Vaterschaftsurlaub gewähren. Das ermöglicht und fördert die Bindung der Eltern zum Kind von Geburt an. Das ist schon sehr wichtig, denn: wie oft im Leben wird man Eltern? Wichtigeres im Leben als Kinder zu haben, gibt es nicht.

Stichwort Vereinbarkeit von Beruf und Familie: Wie nehmen Sie diesen Balanceakt in ihrem persönlichen Umfeld wahr?
Meine Kinder sind mittlerweile älter, da ist das Problem nicht mehr so akzentuiert. Wir versuchen viel Zeit zusammen als Familie zu verbringen und Familientraditionen aufrecht zu erhalten, die den Kindern eine Struktur geben. Das vermittelt den Kindern Halt und Sicherheit, damit sie sich weiterentwickeln können.

Mussten Sie auf familienexterne Betreuung zurückgreifen als die Kinder klein waren?
Meine Frau hat, in verschiedenen Pensen, immer gearbeitet. Wir hatten phasenweise eine Betreuungsperson, die zu uns nach Hause kam. Das war aber erst als die Kinder schon in der Schule waren, für die Betreuung am Mittag oder am Nachmittag nach der Schule.

Weshalb engagieren Sie sich für READY! und damit für eine umfassende Politik der frühen Kindheit?
Als ich angefragt wurde, Botschafter zu werden, erinnerte ich mich an die Geburt unseres ersten Sohnes 1998. Damals habe ich als Unternehmensberater gearbeitet. Für die Geburt unseres Sohnes habe ich meine vier Wochen Ferien aufgespart sowie zwei Monate unbezahlten Urlaub bezogen. So konnte ich drei Monate mit der Familie verbringen. Das war eine wunderbare und sehr prägende Zeit, die ich als sehr wichtig empfand für die Familie und die Beziehung zum Kind. Eine solche Auszeit empfehle ich allen!

Wie waren die Reaktionen in Ihrem Umfeld damals?
Rückblickend war das war für die damalige Zeit eher ungewöhnlich. Ich war damals bei der BCG (Boston Consulting Group) tätig. Die Beratungsfirmen und speziell BCG waren schon immer offen für das Unkonventionelle, so dass mein Wunsch kein Problem war. Auch sonst habe ich – jedenfalls in meiner Erinnerung – nur positive Reaktionen erlebt.

Jetzt sprechen wir in der Schweiz von zwei Wochen Vaterschaftsurlaub, was sagen Sie dazu?
Das ist das Minimum. In der Schweiz erhält der Vater einen Tag Urlaub bei der Geburt seines Kindes – das ist gleich viel wie für einen Umzug. Wir stehen bezüglich Elternzeit resp. Vaterschaftsurlaub am Ende der Rangliste, nach uns kommen nur noch die USA und Mexiko. Ich befürworte die zwei Wochen Urlaub und denke auch, dass das mittlerweile in der Gesellschaft konsensfähig ist. Zwei Wochen sind meines Erachtens ein guter Kompromiss, denn man darf nicht vergessen, dass das für kleinere Betriebe eine zusätzliche Belastung bedeutet.

Was tun Sie in diesem Bereich konkret in Ihrem Unternehmen?
Im letzten Jahr hat Novartis bekanntgegeben, dass global eine neue Richtlinie für bezahlte Eltern-auszeit eingeführt wird. Diese gibt einen Mindeststandard von 14 Wochen Auszeit für beide Elternteile vor. In der Schweiz wird die neue Richtlinie an die geltende Regelung von Schwangerschafts- und Mutterschaftsurlaub angeglichen, und neu wird für beide Elternteile eine bezahlte Elternauszeit von 18 Wochen gewährt. Dadurch unterstreicht Novartis die Wichtigkeit der Gleichstellung aller gebärenden und auch der adoptierenden Eltern. Für einen frisch gebackenen Vater bedeutet das, dass er bei der Geburt eines Kindes neu 18 Wochen Vaterschaftsurlaub beziehen kann. Er kann das innerhalb eines Kalenderjahres flexibel handhaben und zum Beispiel sein Pensum reduzieren oder einen Mix aus Urlaub und Reduktion wählen. Auch haben wir im Unternehmen eigene Kinderkrippen. Für die jüngere Generation zählt nicht mehr nur die Karriere und ein hoher Lohn, sondern unter anderem eben auch flexible Arbeitszeitmodelle. Dies ist ein Wertewandel, der sich manifestiert.

Was bedeutet dies für andere Unternehmen, die nicht über dieselben Voraussetzungen verfügen? Braucht es einen «Stups» seitens des Gesetzgebers?
Es ist der gesellschaftliche Konsens, welcher die Voraussetzung ist. Wir haben diesen mittlerweile, was vor 15 bis 20 Jahren sicher nicht der Fall war. Es ist einerseits ein Bedürfnis der Jüngeren, andererseits ist es kein Selbstzweck. Denn die Familie, das Kind aber auch die Gesellschafft als Ganzes profitieren längerfristig davon.

Was gelingt in der Schweiz bezüglich der frühen Kindheit gut? Wo sehen Sie den grössten Handlungsbedarf?
Die Verantwortung liegt primär bei der Familie. Aber die Familie kann nicht alles alleine machen. Dies insbesondere, wenn beispielsweise kein Umfeld mit Grosseltern vorhanden ist, das unterstützend wirkt. Das Dilemma ist, dass einer der beiden Elternteile beruflich zurückstecken muss, wenn die familienexternen Betreuungsstrukturen nicht vorhanden sind. In vielen Gemeinden fehlen solche Betreuungsstrukturen. Ab Schuleintritt machen wir es aber sehr gut in der Schweiz und dürfen uns über unser Bildungssystem glücklich schätzen.

Welche zusätzlichen Massnahmen braucht es von Staat und Wirtschaft, damit die Situation im Frühbereich verbessert wird?
Integrative Massnahmen beispielsweise sind sicher richtig und wichtig. Ansonsten besteht die Gefahr, dass wir als Gesellschaft Jugendliche oder Erwachsene später auffangen müssen. Wir sind mit 25% Ausländeranteil in der Schweiz in einer besonderen Situation, deshalb lohnen sich solche Massnahmen auch volkswirtschaftlich.

Mit welchen Argumenten würden Sie Kritiker davon überzeugen, dass sich Investitionen in die frühe Kindheit langfristig für die Schweiz auszahlen?
Es ist wichtig, Strukturen bereitzustellen, um denjenigen Familien zu helfen, die nicht über die besten Voraussetzungen verfügen. Die Probleme gilt es bei der Wurzel anzupacken. Die frühkindliche Förderung soll Kindern helfen, damit sie später optimale Voraussetzungen haben und ihren Beitrag an die Gesellschaft leisten können.

Autor: Nicholas Bornstein

Biografie Matthias Leuenberger
Matthias Leuenberger ist Länderpräsident von Novartis in der Schweiz. In dieser Funktion ist er Vorsitzender des Exekutivkomitees der Novartis Schweiz, verantwortet die politischen Beziehungen in der Schweiz und repräsentiert Novartis in den Wirtschaftsverbänden Interpharma, Scienceindustries (Präsident), Economiesuisse (Vizepräsident) sowie der Handelskammer beider Basel.
Vor Novartis arbeitete er neun Jahre bei Boston Consulting Group in Zürich und Tokio. Matthias Leuenberger schloss sein Studium 1993 mit dem Fürsprecher (Rechtsanwalt) des Kantons Bern ab und promovierte 1995 an der Universität Bern. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.