Weshalb die Elternzeit das Gebot der Stunde ist

7.12.2017

Von Barbara Schmid-Federer, Nationalrätin CVP und Ready!-Botschafterin

Als ich vor neun Jahren im Parlament zwei Vorstösse zur Elternzeit einreichte, waren die Chancen intakt, für dieses Projekt eine Mehrheit zu finden. Elternzeit bedeutet nichts anderes als eine berufliche Auszeit für beide Eltern nach der Geburt eines Kindes.

Heute ist diese Möglichkeit vertan. Sämtliche Minimalforderungen zu diesem Thema werden im Keim erstickt. Auch eine simple Abschätzung der langfristigen volkswirtschaftlichen Auswirkungen der Elternzeit gewann im Parlament keine Unterstützung.

Bald wird das Volk über die im Juli eingereichte Volksinitiative «Für einen vernünftigen Vaterschaftsurlaub – zum Nutzen der ganzen Familie» über vier Wochen Vaterschaftsurlaub abstimmen. Obwohl ich die Initiative oder einen allfälligen Gegenvorschlag unterstützen werde, erachte ich die Diskussion mit Fokus einzig auf den Vater als falsch. Der Vaterschaftsurlaub gilt Europaweit als Steinzeit-Modell, denn er zementiert das Rollenbild der Mutter, welcher nach der Geburt des Kindes Steine in den Weg gelegt werden, in die Arbeitswelt zurückzukehren. In Europa hat sich die Elternzeit, welche sich Mütter und Väter aufteilen, längst durchgesetzt. Beispielsweise wird in Schweden das erste Lebensjahr durch bezahlte Elternzeit abgedeckt. Danach werden fast alle Kinder familienergänzend betreut. Die Elternzeit kann vom Vater oder von der Mutter bezogen werden. Dieses Modell stärkt die Position der Frauen. In der Schweiz dagegen muss sich eine berufstätige Frau in der Regel 14 Wochen nach der Geburt für den beruflichen Abstieg oder für eine familienergänzende Betreuung entscheiden. Elternzeit bedeutet, mehr Zeit mit den Kindern zu verbringen. Frauen möchten vermehrt erwerbstätig sein, und Väter würden gern mehr für ihre Kinder da sein. Der 14-wöchige Mutterschaftsurlaub ist eine reine Gesundheitsschutzmassnahme und dient nicht zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Während die Schweiz über Fachkräftemangel und Akademiker-Frauen am Herd jammert, machen wir alles dafür, damit sich diesbezüglich nichts verändert. Das war schon so, als ich selber Kinder grossgezogen hatte. Ein Erlebnis hat mich bis heute geprägt: Nach der Geburt unseres ersten Sohnes litt ich an einer postnatalen Depression. Ich war 29 Jahre alt, übte einen erfüllenden Beruf aus, bei dem ich 150 Prozent Leistung erbringen musste. Von einem Tag auf den anderen spielte sich mein Leben nur noch in einer 4-Zimmer-Wohnung ab. Die Veränderungen im Lebensalltag waren tiefgreifend, zumal mein gesamter Freundeskreis kinderlos war. Ich stellte erstaunt fest, dass wir an verschiedenen Orten als Belastung empfunden wurden, sei es durch Kinderlärm im Mehrfamilienhaus, durch den sperrigen Kinderwagen im Einkaufsladen, im Restaurant sowieso, ja selbst beim Stillen erntete ich kritische Blicke. Für mich war rasch klar, dass ich einen Ausgleich im Beruf brauchte. Mein früherer Arbeitgeber bot mir ein 40-Prozent-Pensum an; nach dem Wiedereinstieg fühlte ich mich aber nie mehr richtig integriert im Team bei der Arbeit. Hätte ich in dieser schwierigen Situation ab und zu meinen Mann einspannen können, wäre mir schon sehr viel geholfen worden. Dies war jedoch in seiner damaligen beruflichen Situation und ohne Einbezug einer Elternzeit nicht möglich.

Es geht nicht darum, die Verantwortung und die Kosten dem Staat und der Wirtschaft zuzuschieben. Mir ist es wichtig, gemeinsam neue Modelle zu entwickeln, die allen etwas bringen – gerade auch der Wirtschaft. Der Kanton Waadt ist in der Organisation und Finanzierung der familienergänzenden Kinderbetreuung ein Leuchtturm. Die öffentliche Hand übernimmt dort knapp die Hälfte und die Arbeitgeber rund 9 Prozent der Kosten. Auch in anderen Westschweizer Kantonen beteiligen sich die Arbeitgeber mittels eines Fonds an der Finanzierung der Kitas und schulischen Tagesstrukturen.

Es ist Zeit zum Umdenken – nicht nur in der familienergänzenden Betreuung, sondern auch bei der Elternzeit.

Dieser Artikel erschien am 7. Dezember im Mamablog des Tages-Anzeigers.