Bundesrat verabschiedet Bericht zur frühen Sprachförderung in der Schweiz

5.07.2022

Ein Beitrag zur frühen Sprachförderung ist in erster Linie über eine Unterstützung der Regelstrukturen und über die Angebote der frühen Bildung zu erreichen. Zu diesem Schluss kommt der vom Bundesrat publizierte Bericht «Frühe Sprachförderung in der Schweiz». Dieser gibt einen Überblick über das Konzept der frühen Sprachförderung, erläutert die Praxis in den Kantonen und erörtert die gesetzlichen Grundlagen sowie die föderalistische Kompetenzverteilung in der Kinder- und Jungendpolitik inklusive Sprachförderung. Mit diesem Bericht erfüllt der Bundesrat eine Motion von alt-Nationalrat und READY!-Träger Christoph Eymann.

Die Bedeutung der frühen Sprachförderung für einen guten Start in die Volksschule und die gesamte Bildungslaufbahn eines Kindes ist in der Schweiz in den letzten Jahren stärker in den Fokus gerückt. In der Schweiz thematisieren 19 Kantone die frühe Sprachförderung bereits im Rahmen einer Strategie oder eines Konzepts zur allgemeinen frühen Förderung. Denn eine frühe Sprachförderung ermöglicht mehr Chancengleichheit beim Start in die schulische Laufbahn und fördert die Integration.
Mit der Motion 18.3834 «Frühe Sprachförderung vor dem Kindergarteneintritt als Voraussetzung für einen Sek-II-Abschluss und als Integrationsmassnahme» beauftragte alt Nationalrat und READY!-Träger Christoph Eymann (LDP/BS) den Bundesrat, Massnahmen und Mittel zu prüfen, um die Integration und die schulischen Chancen von fremdsprachigen Kindern zu verbessern. In Erfüllung des Vorstosses hat der Bundesrat Ende Juni den entsprechenden Bericht verabschiedet. Dieser stützt sich hauptsächlich auf die Ergebnisse des 2021 erschienenen Berichts des Bundesrates über die Politik der frühen Kindheit und eine vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) im Auftrag gegebene Studie. Diese wissenschaftliche Studie «Frühe Sprachförderung - Internationale Forschungsbefunde und Bestandesaufnahme zur frühen Sprachförderung in der Schweiz» wurde von der Pädagogischen Hochschule St. Gallen in Zusammenarbeit mit der Universität Genf und dem Forschungs- und Beratungsbüro INFRAS durchgeführt. Analysiert wurden die internationale Forschungslage sowie die Situation in der Schweiz. Die Forschungserkenntnisse wurden schliesslich in einer Typologie verdichtet und anhand von zwölf Fallbeispielen aus Kantonen und Gemeinden der Schweiz konkretisiert.

Die Haupterkenntnisse der Studie «Frühe Förderung»
Die wissenschaftliche Literatur bestätigt, dass sich der Besuch eines Angebots der frühen Bildung (Kita, Eltern-Kind-Gruppe oder Spielgruppe) positiv auf die Kompetenzen in der Schulsprache auswirkt und die Integration vereinfacht. Bedingung ist jedoch eine gute pädagogische Qualität und ein universeller Zugang zu Angeboten der frühen Bildung. Familien spielen ebenso eine wichtige Rolle. In diesem Zusammenhang ist die Elternbildung sehr wichtig: Eltern müssen möglichst früh angesprochen und unterstützt werden. Dies erfordert wiederum die weitere Professionalisierung der Fachpersonen. Schliesslich zeigt die Literatur, dass alltagsintegrierte Sprachförderung wirksamer ist als separate Gruppen und Programme.
In der Schweiz zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Sprachregionen: Während in der Suisse romande die Politik stärker auf die Bereitstellung eines universellen und qualitativ hohen Angebots der frühen Bildung für alle Kinder setzt, überwiegen in der Deutschschweiz die selektiven Ansätze, die die Sprachförderung klar auf Kinder mit anderen Erstsprachen ausrichten. Das Tessin kombiniert selektive Massnahmen wie Mutter-Kind-Sprachkurse mit vielfältigen Unterstützungsmassnahmen für Familien mit Vorschulkindern. Kinder, die die Lokalsprache noch nicht sprechen, werden schon ab 3 Jahren in der scuola dell’infanzia unterstützt.

Anerkennung der Notwendigkeit der frühen Sprachförderung als Teil der frühen Bildung
Ein zentrales Fazit der INFRAS-Studie ist die Erkenntnis, dass die frühe Sprachförderung Teil der frühen Bildung ist. Die von der Studie formulierten Empfehlungen plädieren entsprechend dafür, die familienergänzende Betreuung vielmehr in ihrer bildungsfördernden Dimension zu verstehen. Ausgehend davon formuliert die Studie hauptsächlich folgende Schlussfolgerungen und Empfehlungen, an die der Bundesrat in seinem Bericht anknüpft:

  • Schaffung einer koordinierenden Organisationseinheit Frühe Bildung auf Bundesebene: Die Studie rät, einen erleichterten Zugang zu Betreuungsangeboten zu gewährleisten, insbesondere für Kinder ohne Kenntnisse der Lokalsprache, für Kinder mit besonderen Bedürfnissen und für Kinder aus vulnerablen oder benachteiligten Familien. Dies würde dazu beitragen, die aufgrund der heterogenen Politik auf kantonaler und kommunaler Ebene ungleichen Bildungschancen anzugleichen. Diese koordinierende Funktion könnte laut Studie die Form eines Gesetzes annehmen, das die Grundprinzipien für den Zugang zu den Angeboten, deren Qualität und Finanzierung festlegt sowie die Schaffung einer Organisationseinheit Frühe Bildung vorsieht.
    Position Bundesrat: Im föderalistischen System der Schweiz liegt die Politik der frühen Kindheit als Bestandteil der Kinder- und Jugendpolitik hauptsächlich in der Zuständigkeit der Kantone und Gemeinden. Dies gilt auch für die frühe Sprachförderung, namentlich für Kinder im Vorschulalter. Dem Bund kommt in diesem Bereich eine subsidiäre Rolle zu. Diese soll unter anderem durch die PaIv 21.403 der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates gestärkt werden.

  • Förderung von universellen und alltagsintegrierten Ansätzen: Die Autor:innen empfehlen einen universellen Ansatz der frühen Sprachförderung, der in alltägliche Aktivitäten integriert werden und in gemischten Gruppen gelebt werden soll.
    Position Bundesrat: Gestützt auf die gesetzlichen Vorgaben (Art. 53 AIG, Art. 20 BehiG) und die Erkenntnisse aus der Studie ist es wichtig, dass die frühe Sprachbildung in den bestehenden Regelstrukturen wie beispielsweise der familienergänzenden Kinderbetreuung gestärkt wird. Dies kommt sowohl fremdsprachigen wie auch Kindern mit besonderen Bedürfnissen zugute, sofern die Betreuungsqualität hoch ist. Auch hier sieht die PaIv 21.403 die Förderung der frühkindlichen Bildung vor, mit einem besonderen Augenmerk auf Kinder mit einer Behinderung.

  • Unterstützung der Eltern: Eine weitere Empfehlung betrifft die Schaffung bzw. Ausbreitung eines aufeinander abgestimmten Angebots an Unterstützungs-, Beratungs- und Bildungsleistungen für die Eltern, um ihre sprachförderlichen Interaktionen zu stärken.
    Position Bundesrat: Eltern und insbesondere vulnerable Familien sollten über die Angebote zur frühen Sprachbildung informiert und zur Teilnahme ermuntert werden. Dabei ist der Ansatz der «Familienzentrierten Vernetzung» laut einer vom BAG in Auftrag gegebenen Vorstudie vielversprechend für die Erreichung von vulnerablen Familien und deren optimale Begleitung. Der Bund wird prüfen, inwieweit er die Kantone und Gemeinden bei der Umsetzung des Ansatzes unterstützen könnte.

  • Professionalisierung der Betreuungspersonen: Um die Qualität der Angebote zu verbessern, soll unter stärkerer Fokussierung auf die Sprachförderung eine umfassende Aus- und Weiterbildung der Betreuungspersonen gefördert werden.
    Position Bundesrat: Neue Bildungsangebote für Betreuungspersonen im Bereich der frühen Sprachförderung wurden geprüft und eine Stärkung der berufsbegleitenden Berufsmaturität für Fachpersonen Betreuung EFZ eingeleitet, um die Durchlässigkeit der Bildungsangebote zu verbessern. Das SBFI spielt bei der Ausbildung des Betreuungspersonals insofern eine Rolle, als es die OdA berät, sensibilisiert und darauf achtet, dass die Rahmenbedingungen der Ausbildungen eingehalten werden.

  • Forschung und Statistik: Die Studie empfiehlt, statistische Grundlagen zur frühen Bildung systematisch zu erheben und sowohl die Forschung als auch den Erfahrungsaustausch aus interdisziplinärer und innovativer Perspektive zu fördern. Besondere Aufmerksamkeit soll dabei der Ausbildung von Fachpersonen der frühen Bildung geschenkt werden. Dies käme auch der Evaluation der Wirksamkeit von Massnahmen zugute, die von Bund und Behörden im Bereich Frühe Kindheit implementiert werden.
    Position Bundesrat: Der Bund kann einen Beitrag leisten, wenn es darum geht, die zur Steuerung einer öffentlichen Politik notwendigen Kenntnisse aufzubauen und zu vermitteln, wie etwa für jene der frühen Bildung. Im Bereich der frühen Bildung sind auf nationaler Ebene jedoch keine vollständigen Daten zu den Vorschulkindern, zum Betreuungspersonal oder zu den Kosten der Angebote verfügbar. Eine Ausweitung der Statistik auf die frühe Bildung würde gesetzliche Anpassungen, einen klaren Willen der Kantone, einen zusätzlichen Auftrag an das BFS und zusätzliche Ressourcen sowohl auf kantonaler als auch auf nationaler Ebene erfordern. Zudem müssten vermutlich neue Statistiken erarbeitet werden, da sich die frühe Bildung konzeptionell deutlich vom restlichen Bildungssystem unterscheidet.

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